Die Alpe Soladino setzt sich für den Erhalt von ProSpecieRara-Rassen wie Nera Verzasca, Capra Grigia und Walliser Schwarzhalsziege ein. Foto: FiBL, Corinne Obrist
Ein etwas mulmiges Gefühl macht sich auf der Fahrt ins Tessin breit. Das Ufer des Lago Maggiore ist übersät mit Baumstämmen – das Tessin wurde eine Woche zuvor von heftigen Niederschlägen heimgesucht. Die Aufräumarbeiten sind in vollem Gang. Die Weiterfahrt nach Someo klappt, erst im oberen Teil des Maggiatals ist der Postautoverkehr unterbrochen, weil ein Ersatz für die zerstörte Visletto-Brücke in Cevio hermuss.
Soladino wurde vom Unwetter verschont
Während des steilen Aufstiegs auf die Alpe Soladino schweift der Blick über die Maggia, die Hubschrauber fliegen in regelmässigen Abständen. An verschiedenen Stellen sind auch auf dem Wanderweg die Spuren des Unwetters sichtbar. Oben angekommen ist denn auch eine meiner ersten Fragen, wie sich die Situation auf der Alp präsentiert. Yasmin Spengler, die die Alp seit fünf Jahren gemeinsam mit dem Team des Vereins Onidalos bewirtschaftet, beschwichtigt: «Das viele Wasser wurde erst weiter unten gefährlich, wo alles zusammenläuft. Wir hatten allerdings einen Stromunterbruch und mussten danach erst einmal auf alle besorgten Nachrichten antworten.»
Pelzige, fedrige und borstige Seltenheiten
Yasmin ist von Mai bis Oktober auf der Alp und wird unterstützt von einem Kernteam sowie einer wechselnden Zahl helfender Hände. Einige bleiben wenige Tage, andere arbeiten länger mit. Gemeinsam sind sie verantwortlich für eine bunt gemischte Herde Ziegen, eine kleine Schar Esel, vier Schweine und einige Hühner. Viele Tiere sind seltene ProSpecieRara-Rassen, für deren Erhalt sich die Alpe Soladino einsetzt. Aus der Milch von Nera Verzasca, Capra Grigia, Walliser Schwarzhalsziege und ihren Artgenossinnen stellt Yasmin verschiedene Käse her. Beispielsweise die lokale Spezialität Büscion, ein Frischkäse von cremiger Konsistenz, der sich wunderbar als Brotaufstrich eignet.
Ziegenmelken will gelernt sein
Als ungeübte Ziegenmelkerin ist es nicht ganz so einfach, ans Rohmaterial für den Büscion zu kommen. Denn die Ziege zieht die Milch ins Euter zurück, wenn der Zitzenansatz nicht mit Daumen und Zeigefinger fest umschlossen wird. Ein Vorgang, der Übung erfordert und mir erst zum Schluss meines Aufenthaltes einigermassen zufriedenstellend gelingt. Ich verbuche es dennoch als Erfolg, dass ich am letzten Tag vier Ziegen gemolken habe, obwohl ich so lange brauche wie Yasmin für die restlichen 34.
Das FiBL verfolgt mich
Meiner Arbeitgeberin entkomme ich auch auf der abgelegenen Alp nicht ganz. Yasmin beteiligt sich nämlich am Projekt Farmer Science des FiBL. Die vier Schwarzen Alpenschweine sind Teil eines Versuches zur Bekämpfung des Adlerfarns. «In den letzten Jahrzehnten ist hier oben neben der täglichen Arbeit der Tierpflege und der Herstellung von Ziegenkäse-Produkten die Natur- und Landschaftspflege vernachlässigt worden», erklärt Yasmin, «deshalb sind zahlreiche Flächen vom Adlerfarn überwuchert.»
Dem Schwarzen Alpenschwein schmeckts
Die Pflanze ist giftig und muss aufwändig zurückgedrängt werden. Dem Schwarzen Alpenschwein scheint der Farn jedoch ausgezeichnet zu schmecken. Das FiBL Projekt untersucht, wie sich die beweideten Flächen entwickeln und welchen Effekt der Frass auf die Gesundheit und die Fleischqualität der Schweine hat. Dieses Jahr ist das letzte Versuchsjahr und ich beteilige mich an der Praxisforschung. Es müssen nämlich regelmässig Urinproben genommen werden. Mittels einer eigens entwickelten Konstruktion an einer ausziehbaren Teleskopstange gelingt das ohne Probleme.
Käsekurierdienst in die Stadt
Nach einer intensiven Woche Alpleben steige ich die steilen Stufen zurück ins Maggiatal, den Rucksack gefüllt mit Geissenkäse. Ein Teil davon kommt in den Selbstbedienungskühlschrank im Dorf Someo, einiges liefere ich in Zürich ab. Yasmin vertreibt ihre Produkte auch direkt über Instagram. Da kommt es ihr zugute, dass die vielen Helfenden auf dem Heimweg wie ich zu Käsekurier*innen werden. Die vom Abstieg müden Muskeln kühle ich kurz in der Maggia, bevor ich in den Zug steige und zurück in mein Schreibtischleben fahre.
FiBL, Corinne Obrist
Weiterführende Informationen
Alpe Soladino (Webseite alpesoladino.ch)
FiBL Farmer Science (Rubrik Beratung)