Bernard Lehmann ist als Vorsitzender der erste Schweizer im UNO-Gremium «High Level Panel of Experts on Food Security and Nutrition» (HLPE-FSN), seit es 2010 ins Leben gerufen worden ist.
Das Gremium ist unter anderem dafür zuständig, den aktuellen Stand der Ernährungssicherheit und die Ursachen der Probleme zu analysieren und zu bewerten. Es liefert zudem wissenschaftliche Analysen und Vorschläge zu politikrelevanten Themen. Bernard Lehmann ist seit 2022 auch Stiftungsratspräsident des FiBL Schweiz.
Guidelines für Agrarpolitik
Das HLPE-FSN gehört zum Committee on World Food Security (CFS), einem Ernährungsausschuss der Vereinten Nationen. Vom HLPE-FSN entwickelte Guidelines gehen erst in dieses Parlament, in dem Staaten, UN-Organisationen, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und die Privatwirtschaft vertreten sind, und erfahren dort eine Art Vernehmlassung. Nachdem sie diese durchlaufen haben, können sie von den Staaten angewendet werden.
«Das ist extrem wertvoll», sagte Bernard Lehmann an einer Veranstaltung von «SVIAL – My Agro Food Network» in Bern. «Gerade die armen Ländern betonen immer wieder, das sei genau, was sie für ihre Agrarpolitik bräuchten.»
Multilaterität schärft Blick fürs Ganze
Besonders wichtig im Gremium sei die multilaterale Zusammenarbeit, die einen Blick aufs Ganze ermögliche und zahlreiche Aspekte miteinbeziehe, betont Lehmann. Das ganze Food System sei riesig – da sprechen nicht nur Agronomen mit, sondern auch Mediziner oder Klimaexperten. Entsprechend reichhaltig ist denn auch die Anzahl an Organisationen, die im Food System tätig sind.
Die Ernährungssicherheit zu stärken, ist dringend nötig. 1,6 Milliarden Menschen leiden aktuell an Hunger und Mangelernährung. Das sei ein riesiges Problem, so Lehmann. Die Kinder entwickelten sich schlecht, was sich unter anderem auch auf die intellektuellen Fähigkeiten auswirke. «Es ist dramatisch», so Lehmann. Es gebe für die Situation direkte Gründe wie die mangelnde lokale Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln. Aber ebenso bedeutend sind die indirekten Gründe, von denen Lehmann vor allem die mangelnde Kaufkraft hervorhob.
Dieselben Länder vom vielfältigen Problemen betroffen
Ein Blick in die Zukunft birgt wenig Hoffnung für Optimismus: Regionen, wo aktuell bereits Hunger herrscht, sind auch am stärksten vom Klimawandel betroffen und weisen das höchste Bevölkerungswachstum auf. Und wieder zurück zum Geld: Es sind die Staaten, in denen auch die grösste Armut herrscht. «Wenn man das alles zusammen anschaut, zeigt sich: Wir haben ein grosses Problem», sagt Lehmann klar.
Klar ist für Lehmann: Der Status Quo ist keine Option. Es brauche eine grundlegende Transformation der Ernährungssysteme. Kleine Anpassungen seien nicht ausreichend. Es brauche bessere Rahmenbedingungen für die lokale Produktion und den Zugang zu Nahrung in den defizitären Welt-Regionen, wozu unter anderem Armutsbekämpfung, bessere Rechte und Ausbildung ebenso gehören wie die Verhinderung von Food Losses. Zudem sei es nötig, die Resilienz der Ernährungssysteme zu stärken, damit Schocks wie etwa der Ukraine-Krieg abgefedert werden könnten.
Eigentlich genügend Kalorien
Grundsätzlich würden mehr als genügend Kalorien produziert, 5900 pro Mensch und Tag. Nachernteverluste oder auch die Nutzung als Bioethanol verringern den Wert. Lehmann plädiert dafür, den Konsum von den tierischen zu den pflanzlichen Proteinen zu verschieben. «60 Prozent der pflanzlichen Proteine werden gefressen, 40 Prozent gegessen», so Lehmann. Das sei korrigierbar, wenn man den möchte. «Wir müssen nicht mehr produzieren, es aber anders einteilen.»
Der Geschäftsführer des Berufsverband für Hochschulabsolventinnen und -absolventen im Agro-Food-Bereich (SVIAL) Marcel Anderegg warf die Frage auf, wieso die teils schon länger bekannten Lösungsansätze es schwierig hätten, den Weg in die Praxis zu finden. Lehmann sprach diverse Probleme an. So habe der Anteil der Menschen mit Hunger wegen längerer oder öfter auftretenden Dürren zugenommen. Auch behinderten Konflikte etwa in Afrika, Pakistan oder Afghanistan die Produktion und Verteilung der Nahrungsmittel. Das seien nicht Probleme, welche die Agronomen alleine lösen könnten, da brauche es viel Interdisziplinarität. Teils müsse der Druck auf die Länder erhöht werden, damit sie handelten und sie müssten sich erklären, wieso es keinen Fortschritt gebe.
Quelle: LID Mediendienst vom 03. März 2023, Jonas Ingold
Weiterführende Informationen
Das ganze Interview (LID Medien)
Eine nachhaltige Transformation des Ernährungssystems ist möglich (Rubrik Nachhaltigkeit)
Bio kann die Welt ernähren, wenn wir uns ändern (Rubrik Nachhaltigkeit)
